
Ruhe
Die Sache mit dem Gleichgewicht – vom Umgang mit Hochsensibilät
Je höher die Sensibilität ausgeprägt ist, desto wichtiger und herausfordernder ist das Halten der Balance. Hilfreiche Tipps nicht nur für hochsensibel veranlagte Menschen.
Barbara Witzig
MA Praktische Theologie und Mutter von zwei Kindern
Es ist ein warmer Sommerabend. Ich spaziere mit einer Freundin über Umwege vom Restaurant zurück zum Bahnhof. Wir sind ins Gespräch vertieft. Ich erzähle ihr, wie schwer es mir fällt, mein inneres Gleichgewicht zu finden. Mir ist schnell alles zu viel, der Haushalt, die Kinder und ihre Anliegen, ehrenamtliche und nebenberufliche Tätigkeiten, familiäre Angelegenheiten und soziale Verpflichtungen. Ziehe ich mich zurück und übernehme weniger Aufgaben, bin ich schnell unterfordert. Work-Life-Balance will mir einfach nicht gelingen. Ich klage ihr mein Leid, dass ich das Gefühl habe, den Zustand des Gleichgewichts nie zu erreichen oder wenn ich denke, es geschafft zu haben, etwas Neues auftaucht, das mich aus der Bahn wirft. Sie schaut mich an und meint: «Gleichgewicht ist nichts Statisches.»
Eine bedeutende Erkenntnis
Es ist, als würde eine Last von mir abfallen. Gleichgewicht ist nicht etwas, das du einmal erreichst und für immer behältst. Gleichgewicht muss immer neu ausbalanciert werden. Es muss aktiv gehalten werden, was einer gewissen Übung bedarf. Und genau wie im Sport die Stabilisationsmuskulatur trainiert wird, kann ich mein inneres Gleichgewicht ebenfalls trainieren.
Unser Gespräch hallt noch lange bei mir nach. Nicht jeder Mensch hat von Natur aus einen guten Gleichgewichtssinn. Dasselbe gilt fürs innere Gleichgewicht. Menschen, die wie ich mit einer hochsensiblen Veranlagung geboren werden, fällt es schwerer, im Gleichgewicht zu bleiben, da ihre Komfortzone deutlich schmaler ist als bei nicht hochsensiblen Personen.
In unserer heutigen, auf schnelle Leistung getrimmten Gesellschaft steht hohe Sensibilität nicht hoch im Kurs. Hochsensible Menschen werden häufig als Mimosen, weniger leistungsfähig, empfindlich und kompliziert angesehen. Doch was bedeutet hohe Sensibilität? Sind Menschen mit hoher Sensibilität wirklich weniger leistungsfähig?
Hochsensibilität kurz erklärt
Hochsensibilität ist ein in den 1990er Jahren von Elaine und Art Aron beschriebenes Konzept, unter dem man eine intensivere, zentralnervöse Verarbeitung innerer und äußerer Reize versteht. Dabei handelt es sich um eine angeborene Disposition oder ein Temperamentsmerkmal. Ungefähr 15–20 Prozent der Bevölkerung sind davon betroffen. Elaine Aron erforschte diese Veranlagung und prägte die Begriffe «highly sensitive person» und «sensory-processing sensitivity». Im deutschen Raum haben sich die Begriffe Hochsensibilität und hochsensible Person (HSP) durchgesetzt. Eine genauere Bezeichnung wäre jedoch Hochsensitivität oder hochsensitive Person, da sie den Zusammenhang zwischen Sensibilität und sensorischen Steuerungsbegriffen des Nervensystems verdeutlichen.
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