Mäßigkeit
Maß halten – Leben gestalten
Ein Plädoyer für Mäßigkeit
Ruedi Brodbeck
Dr. med. Facharzt für Allgemeine Innere Medizin FMH, Psychosomatische und Psychosoziale
Medizin SAPPM, Diplom für Biblische Theologie und Pastoralarbeit,
Alchenflüh, CH
Mal ganz ehrlich ...
... Welche Emotionen lösen Begriffe wie «mäßig» oder «Mäßigkeit » in Ihnen aus? Halten Sie Bescheidenheit, Genügsamkeit, Zufriedenheit, Gelassenheit, Selbstbeherrschung und Besonnenheit für attraktive, erstrebenswerte Tugenden? Oder schrecken Sie Verzicht, Entsagung, Selbstbeschränkung, Abstinenz, Askese oder vielleicht gar eine gewisse Opferhaltung eher ab? Denken Sie bei «mäßig » an gemäßigt, angemessen, maßvoll, ausgewogen oder eher an mittelmäßig, durchschnittlich, gewöhnlich oder eventuell gar dürftig, schwach oder ungenügend? Trägt Mäßigkeit wirklich zu Ihrer Gesundheit, Ihrem Glück und Wohlbefi nden bei oder ist nicht eher das Gegenteil der Fall? Führt Mäßigkeit nicht zu einer Nivellierung der Höhen und Tiefen des Lebens und steht somit der Lebensfreude, dem Genuss bis aufs Letzte, dem vollen Auskosten des Lebens, im Weg?
Seit der Antike Mäßigkeit
ist tatsächlich ein Begriff mit verschiedenen Bedeutungen. Im Zusammenhang mit den Auswirkungen auf unsere Gesundheit und Lebensqualität tun wir gut daran, bewusst zu klären, was wir darunter verstehen wollen. Mäßigkeit oder Mäßigung wird seit der Antike zusammen mit Gerechtigkeit, Tapferkeit und Frömmigkeit (später ersetzt durch Weisheit oder Klugheit) zu den vier Kardinaltugenden gerechnet. Die griechischen Philosophen nannten sie Sophrosyne (von sophros, verständig, einsichtig) und verstanden darunter die Tugend der Selbstbeherrschung und weisen Mäßigung. Leider gibt es kein einzelnes deutsches Wort, welches die ganze Bedeutungsvielfalt des griechischen Ausdrucks wiedergibt. Temperantia, die bereits früh verwendete lateinische Übersetzung, welche über das Englische teilweise auch Eingang in die deutsche Sprache (Temperenz) gefunden hat, kommt von temperare, das auch so verstanden werden kann: «aus verschiedenartigen Teilen ein einiges geordnetes Ganzes fügen». Damit wird bereits angedeutet, dass es bei Mäßigkeit auch darum gehen kann, einen Ausgleich von unterschiedlichen Interessen und Motivationen zu schaff en.
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