
Integrität
Deals statt Prinzipien – die versteckte Gefahr scheinbar harmloser Kompromisse
Wo endet das kluge Schweigen, die stärkende Einigung – und wo beginnt der Verrat an sich selbst? Wo wird aus Flexibilität die Verdrängung von Prinzipien und der schleichende Verlust von Integrität?
Cornelia DellMour
Lehrerin
«Peace for our time» ...
Im Jahr 1938 unterzeichnete der britische Premierminister Neville Chamberlain das Münchner Abkommen. Mit dem Versprechen «Peace for our time» (Friede für unsere Zeit) glaubte er, durch Zugeständnisse an Hitler einen Krieg verhindern zu können. Der Weltfriede hielt keine zwölf Monate. Was als kluger Deal erschien, entpuppte sich als Verrat an Prinzipien, die man nie hätte preisgeben dürfen. Glücklicherweise steht wohl niemand von uns jemals vor einem Kompromiss von derart großer Tragweite. Bei uns sind es nicht große dramatische Situationen, sondern alltägliche Momente der Entscheidung – in unserem beruflichen Umfeld und unseren familiären Beziehungen. Möglicherweise gehören Sie – wie ich – zu den Menschen, die in ihrer Harmoniebedürftigkeit schon so manches Mal geschwiegen oder gar zugestimmt haben, wo es nötig gewesen wäre, für einen wichtigen Wert oder einen anderen Menschen einzustehen. Wo endet das kluge Schweigen, die stärkende Einigung – und wo beginnt der Verrat an sich selbst? Wo wird aus Flexibilität die Verdrängung von Prinzipien und der schleichende Verlust von Integrität?
Wo Kompromisse sinnvoll und notwendig sind
Kompromisse gehören zum Alltag. Ohne sie wären Partnerschaft, Politik, Arbeitswelt und Zusammenleben kaum denkbar. Sie helfen, Brücken zu bauen, Interessen auszugleichen und Entscheidungen herbeizuführen. Besonders in einer pluralistischen Gesellschaft ist das Ringen um tragfähige Lösungen essenziell. In einer Zeit, die oft von Polarisierung geprägt ist, braucht es Menschen, die dafür einstehen, dass nicht jede Meinungsverschiedenheit zur Spaltung führen muss. Differenzen auszuhalten und Ambivalenzen akzeptieren zu können, gehört zu sozialer Intelligenz. Wer eine klare Position hat, kann anderen mit Offenheit und Respekt begegnen – ohne sich selbst zu verleugnen. Unsere Demokratie lebt davon, dass unterschiedliche Sichtweisen gehört und Interessen ausgeglichen werden. Politische Mehrheiten erfordern Dialog, Verhandlung und oft auch Zugeständnisse. Auch im Berufsleben und in Beziehungen gilt: Wer sich stur auf seine Positionen zurückzieht, gefährdet Kooperation und möglicherweise auch das eigene Wachstum.
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